Diplom Theorie // Gespräch mit Friseurin

Mittwoch, 5. April 2017

Diplom Theorie Gespräch mit Friseurin
  • [Aufnahme Anfang.]
  • [Nach Gedächtnis aufgeschrieben.]
  • [Jacke abgelegt. Vor Spiegel Spiegelbild hingesetzt.]
  • [Friseurin streift Kittel über mich.]
  • Waschen?
  • Nein nein.
  • Wie möchtest du es haben?
  • Ganz kurz. An den Seiten. Oben etwas länger.
  • Was heißt kurz?
  • Sechs Millimeter?
  • Sechs Millimeter.
  • [Sie fängt an zu schneiden.]
  • Gerade Mittagspause?
  • Nein nein. Ich bin Student Kommilitone .
  • Also immer Pause.
  • [Lächelt.]
  • Was studierst du?
  • Kunst. An der HGB. Kennen Sie die?
  • Nein. Kunst …
  • Ich schreibe gerade meine Abschlussarbeit über Kunst.
  • Darüber kann man viel schreiben?
  • Es gibt ganze Bücher voll!
  • Wirklich? Aha.
  • [Pause.]
  • Kunst … Kunst ist für mich, wenn ein Konditormeister eine Torte herstellt.
  • Das ist schon Kunst? Eher Handwerk Handwerk , oder?
  • Ja. Kunst eben. Das kann ich selber nicht!
  • Oder dieses da! [Zeigt auf Plakat mit frisiertem Frauengesicht.]
  • Das Plakat?
  • Nein. Die Frisur!
  • Das ist schon Kunst? Für mich ist es Handwerk.
  • Nein. Kunst!
  • Bei Kunst müsste noch … irgendwas interpretiert werden können. Irgendeine Frage sein. Ein Gefühl transportiert werden. Oder so. Halt etwas, was mehr als bloßes Handwerk ist.
  • Aha.
  • Nein.
  • Das ist Kunst.
  • [Pause.]
  • Graffiti Graffiti kann schön sein.
  • Außer die Hauswand gehört einem selber.
  • Es gibt richtig schöne Graffiti. Wo ich sagen würde: Das ist Kunst.
  • Kennen Sie Pissoirs? Die Toiletten-Dinger? Das ist große Kunst!
  • Aha. Alles kann Kunst sein?
  • Prinzipiell ja.
  • Aha. Wirklich? Alles?
  • Ja! Es muss nur Menschen geben, die das so bezeichnen.
  • Aha.
  • [Schneidet weiter. Schaut immer wieder über den Spiegel in meine Augen. Zweifelnd.]
  • Dieser Hundertwasser … Den verstehe ich nicht.
  • Wie kommen Sie darauf? Der mit den Häuserfassaden?
  • Ja. Oder die Bilder. Die verstehe ich nicht. Das ist halt … gezeichnet. Wie bei Kindern.
  • Das ist interessant. Bin ich gerade dabei. Ich studiere Kunst im zehnten Semester und versuche wie ein Kind zu zeichnen.
  • Aha. Für mich ist das Gekrakel.
  • Mein Sohn kann nicht zeichnen. Er ist richtig gut im Fußball. Aber er kann nicht zeichnen.
  • Jede Zeichnung von Kindern hat was. Denke ich.
  • Ne. Nicht bei ihm. Er hat eine sechs in Kunst bekommen.
  • Eine sechs? Das geht?
  • Ja!
  • Das ist aber Unterricht. Das gefällt mir auch nicht. Da wird einem gesagt, welchen Stil man nehmen oder welches Motiv man malen soll. Das ist nicht schön. Die müssten freier arbeiten können. Sich ausdrücken können!
  • Na ja. Einige malen aber einfach nicht gut.
  • Oder singen!
  • Die können das halt nicht.
  • Sprachlich äußern ist auch Ausdruck.
  • Na ja.
  • Macht acht Euro neunzig.
  • Zehn.
  • [Aufnahme Ende.]
Diese Netzpublikation gibt Einblick in mein Kunststudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig von 2012 bis 2018. Ich möchte niemandem schaden, sondern meine Studienzeit in all ihrer Komplexität festhalten – in Bezug auf das Studium, die Kunst im Allgemeinen und meine eigene Arbeit. Fehlerhafte Informationen sind ungewollt Teil der Notizen, bedingt durch meinen Wissensstand und teils unleserliche handschriftliche Notizen. Zitate sind nur dann angegeben, wenn ich sicher bin, dass sie korrekt wiedergegeben wurden, auch wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen sind. Meine künstlerische Arbeit thematisiert vor allem Suche und Zweifel. Gespräche mit Professoren und Dozenten fließen in meine Notizen und meine künstlerische Entwicklung ein.

Leipzig, 13. Dezember 2016