Friedrich

Ein Autist erzählt.

Lehrer, der

Für ein halbes Jahr war ich Lehrer an einer Oberschule. Nach dem ersten Schultag schloss ich zu Hause die Wohnungstür auf und sagte zu meinem Freund: Ich kündige! Ich schaffte dann doch noch 55 weitere Schultage.

Andere Lehrer trafen sich in den Unterrichtspausen im Lehrerzimmer. Sie mochten es, an einer langen Tafel zu sitzen und beim Essen zu schwatzen. Ich hielt mich im Kunstraum auf. Das grelle Deckenlicht schaltete ich aus. Was in dieser Zeit im Kunstraum passierte, hatte ich unter Kontrolle. Wenn ich Zeit hatte, ruhte ich mich nach dem Essen aus. Einmal ging die Tür vom Kunstraum auf und der Hausmeister trat ein. Der Hausmeister sah meinen Kopf bewegungslos auf dem Lehrertisch liegen. Was im Kunstraum fehlte, war ein Bett.

Das Schlimme am Lehrerzimmer: Die Lehrer redeten. Und das laut. Und gleichzeitig. Das Lehrerzimmer suchte ich nur auf, wenn ich den Kopierer nutzen musste. Oder der Kunstraum in meinen Freistunden belegt war. Einmal schickte ich einen Schüler zum Kopieren in das Lehrerzimmer. Eine Lehrerin kam wütend zu mir in den Kunstraum. Der Schüler hatte meine Vermeidungsstrategie genutzt, um seine fehlende Hausaufgabe zu kopieren.

Die Sekretärin gab mir gleich am Anfang des Schuljahres einen Fotoabzug. Auf dem Fotoabzug waren alle Lehrer abgebildet. Die Sekretärin hatte händisch zu jedem Lehrer den Namen dazugeschrieben. Wenn ich eine Frage an einen Lehrer hatte, suchte ich den Lehrer zuerst auf diesem Fotoabzug. Danach glich ich den abfotografierten Lehrer mit den realen Lehrern ab. War der Lehrer identifiziert, musste ich es nur noch schaffen, den Lehrer in seinem laufenden Gespräch zu unterbrechen.

Mein wichtigstes Dokument im Unterricht war der Sitzplan. Auf dem Sitzplan waren die Namen aller Schüler eingetragen. Wenn ich mit Lennard reden wollte, er aber auf den Namen Colin hörte, wusste ich, dass die Schüler falsch saßen. Ein Sitzplan mit Passbildern wäre gut gewesen. Nach einem halben Jahr kannte ich Namen und Gesichter der drei auffälligsten Schüler. Im nächsten Beruf gehe ich an eine Brennpunktschule. Da gibt es nur auffällige Schüler.