Friedrich

Ein Autist erzählt.

Fernseher, der

Meine Kindheit verbrachte ich mit Lego. Und mit Enid Blytons „Fünf Freunde“. Was in der Welt passierte, hat mich nicht interessiert. So wenig wie Markenklamotten. Und Jo-Jos. Und Tamagotchis.

Mit 16 Jahren, 2 Monaten und 29 Tagen erfuhr ich, dass es die USA gibt. Da war ich auf Klassenfahrt in Mecklenburg. Auf der Klassenfahrt gab es einen Fernseher. Und Flugzeuge, die in New Yorker Hochhäuser flogen. Wo die USA genau liegt, brachte mir mein Geografielehrer bei. Mecklenburg lag beim Wort „nie“. Berlin beim Wort „ohne“. Afrika beim Wort „Seife“. Und die USA beim Wort „waschen“.

Es ist nicht so, dass ich davor nicht gelesen hätte, wie groß die Welt ist. Aber mir fehlte Videomaterial. Ohne Videomaterial war die Welt das 71. Band von Enid Blytons „Fünf Freunde“. Eine fiktive Geschichte. Die mich aber nicht interessierte.

Nach dem Abitur holte ich mein fehlendes Alltagswissen durch exzessiven Fernsehkonsum nach. Mein Zugang zur Welt waren die Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich war bei Kaiserschnitt-Geburten dabei. Ich war bei der Bäckerei um drei Uhr nachts Brötchen backen. Ich war auf Party um vier Uhr früh. Ich war auf Beerdigungen. Ich sah Kriege. Und Friedensverhandlungen. Wenn ich wissen wollte, warum Menschen ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen, schaute ich eine Dokumentation darüber.

Ich vermisse Lego. Die Bausteine sind nach einem einfachen Prinzip aufgebaut. Das einfache Prinzip reicht, um Welten zu bauen. Die Welt mit den vielen Menschen ist komplex. Um die zu verstehen, muss ich noch viel Fernsehen schauen.