Porträt besitzt realistische Grundkomponente. Wesensmerkmal des Porträts ist die Repräsentation eines Menschen. Wenn Modell lediglich Mittel, dann kein Porträt im eigentlichen Sinne. Beispiel: Abgebildete bei "Bürger von Calais" (Auguste Rodin, 1884 - 1886) sollen lediglich historische Gestalten lebensnah erscheinen lassen. [Link] Beispiel: Modellstudien von Franz Xaver Messerschmidt geben nicht bestimmte Personen wieder, sondern sollen Ausdruckstypen verdeutlichen. Herscherbildnisse der Antike und des Mittelalters sind zwar einerseits entindividualisiert, da idealisiert, aber durch Symbolisierung identifizierbar. Beispiel: Karl der Große, nach Vorbild römischer Kaiserstandbilder, durch Symbolisierung erkennbar (Krone, Reichsapfel, hoch zu Roß). Grundlage der Darstellungsarbeit sind empirische Fakten am Modell: anatomisch-physiognomische Gegebenheiten, besondere Formen und Proportionen der einzelnen Teile. Wirkmomente der Gesamterscheinung, wie Kopfhaltung, markante Gesichtspartien, besonderer Blick, steigern Wiedererkennbarkeit. Charakteristika wird zusätzlich betont. (Siehe im Extremen die Karikatur) Subjektive Sicht des Künstlers spielt wichtige Rolle beim Porträtieren. Porträt niemals nur Wiedergabe der Erscheinung, sondern mit Deutung des Menschen. Porträtarbeit vereinigt abbildende und nicht-abbildende Formoperationen. Amimetische Implikate (nicht abbildende Züge): (1) Zeitstil, (2) besondere Formsprache, (3) formal-kompositorische Maßnahme Zu (1): Persönlicher Stil des Künstlers wird durch Formmöglichkeiten der jeweiligen Zeit bestimmt (Zeitstil). Zu (2): besondere Formsprache unterstreicht bestimmte psychische Eigenschaften des Modells. Überformung, wie dynamische, runde, harte, weiche Elemente, zielen auf Verdeutlichung individueller Wesenszüge ab. Zu (3): Die formal-kompositorische Maßnahme steigert visuellen Zusammenhang des Werks. Innere Formlogik wird dadurch erzeugt. Sobald amimetische Implikate zu stark im Vordergrund, kann Porträtähnlichkeit zerstört werden. Beispiel: Stark formal-abstrahierende Porträts des Kubismus Weiterer Faktor für Verfremdung ist der begrenzte Form- und Darstellungsspielraum des bildnerischen Materials. Details und stoffliche Qualitäten, wie Wimpern und lockeres Haupthaar, können durch Ton, Gips, Bronze, Holz und Stein nicht exakt wiedergegeben werden.
Kopf von Oma
Abbildende und nicht-abbildende Formoperationen
Allgemein: knollige Nase, rundliche Wangen, schmale Lippen. Am Totenbett: Schütteres glattes graues Haar, geschlossene Augen, Hautballen vor Ohren, fast keine Augenbrauen, Unterlippe durch fehlenden Lippenstift kaum erkennbar, Unterkiefer stark nach hinten fallend. Besonders hervorstechend: Kragen und Hemdknopf. Zu Lebzeiten: lockiges, blond gefärbtes Haar, gezeichnete Augenbrauen und durch Lippenstift hervorgehobene Lippen, Brille, Halsschmuck. Mögliche Überformungen sind: Hervorhebung Eierkopf, übertriebener Hautballen vor Ohren, verstärkt knollige Nase, übertriebene Zuspitzung bei Oberlippe zur Mitte hin, Augenhöhlen vergrößert. Insgesamt aufgeblähte Darstellung, mit weichen Formen, wenigen Kanten. Zu formal-kompositorischen Maßnahme: Überlegung Übergang von Hals zu Kragen, Hinterkopf zu Oberkörper, Abschluss Sockel, Weglassung der Ohren bzw. Andeutung. Möglichkeiten und Grenzen bei bildnerischem Material Gips: angedeutete Falten möglich, schütteres Haar nicht kopierbar, Abschluss Nasenlöcher und leicht geöffneter Mund.